Arige Adelbodner Ängste

Früher fuhren den lieben, langen Tag Konvois von Bussen durch den ganzen Schwand: vom Autobahnhof durch den Vorschwand übers Gilbach und bis auf Geils; mit zahlreichen Kreuzungspunkten, an denen die Busladungen voller Skitouristen aneinander vorbeikamen – „Hannibal va Schmid Ueli antworte“, plärrt es in meinen Ohren noch aus den Funkgeräten der Chauffeure, „verstande, wier si voll im Gilbach“.

Busverkehr Geils aus www.hahnenmoos.ch

Der erste überraschende Stopp waren in den späten 1960ern die Jungen, die sich gegen die massenhafte Überbauung des Geils mit Zweitwohnungen wehrten: Zytgugel nannten sie sich sinnig nach einem vereisenden Wasserfall im Bonderlen, dessen Abbrechen jeweils den Frühling ankündigt, und tatsächlich konnten die Rebellen verhindern, dass die Adelbodner Baulobby das Geils zu einem Resort voller kalter Betten machte – das schaffte mann schliesslich auch rundums Dorf bis zu Franz Webers geht nicht mehr.

Bahn statt Busse

Der zweite, weniger überraschende Stopp zeichnete sich in den frühen 1980ern ab: Junge Einheimische, darunter namentlich die Gewerbler Ferdel Scheidegger, Stäffe Lauber und Schäli Pieren, wollten die stinkenden und lärmenden Busladungen endlich aus dem Dorf weghaben und stattdessen eine Gondelbahn ins Skigebiet.
Bevor es 1990 wirklich zum Busstopp kam und die Sillernbahn, massgeblich finanziert von Adelboden und seinen Gästen, ihren Betrieb aufnahm, tobte ein Kampf: bangende Buschauffeure, betende Bauern, Bombendrohungen gegen Bahnmasten, Morddrohungen gegen Initianten.

Planung und Realisierung wurden ein massiver Murks, Jahre später sollte das Adelbodner Alpenbadtheater die dummdreiste Inszenierung wieder aufnehmen, derweil ein paar Junge nebenher einfach die Sportarena mit Eishalle, Kletterhalle und Bowling aus der Noromatte stampften – und die Tourismusorganisation vom Gästenutzen zum Marketingkram fand, dem sie bis heute huldigt.

Gästebedürfnis: Kapazitäten erhöhen, Tempo steigern.

Die nächste Adelbodner Posse

Indessen steht die nächste Inszenierung an: Einer der Sillernbahngründer erzählte mir letzthin lachend, er sei um volle vierzig Jahre jünger geworden im Gespräch mit den aktuellen Adelbodner Potentaten, landläufig bekannt als Schwandherren (über diese Begrifflichkeit gelegentlich andernorts mehr). Die Schwandherren dominieren nicht nur die Politik und Infrastrukturen wie Boden, Licht und Wasser, sondern auch die Tourismusorganisation und die Bergbahnen – mit Ausnahme von Engstligenalp und Tschenten, wo der familiär mit Adelboden verbandelte Ernst Thomke kauzige Ausnahmen von seinem unternehmerischen Erfolg als Swatch-Pionier zelebriert.

Dass sich der einstige Adelbodner Sillernbahn-Rebell in die 1980er Jahre zurückversetzt sah, hängt mit den leidlich aktuellen Plänen der Sillernbahn zusammen, die 2017 bekannt wurden und 2022 Realität hätten sein sollen. Kernstück ist der Ersatz der Bahn auf den Sillernbühl: Statt 6er-Gondeln durch Eselmoos und Bärgläger samt Erschliessung des Kuonisberglis* wollen die Schwandherren nun mit 10er-Gondeln die Direttissima direkt auf den Sillernbühl. Dieser direktere Weg in die Pistengebiete Richtung Lenk war denk mit Zwischenstation im Gilbach auch in den 1980ern geplant gewesen, aber damals am Widerstand unter anderem des Gilbach-Wirtes gescheitert.

Die Angst vor der Konkurrenz

Dass die alten Pläne nun wieder aus den Schubladen kommen, hat freilich keine zwingenden Gründe: Die im Gegensatz zu den meisten Bergbahnunternehmen recht rentable, aber dennoch von der Gemeinde subventionierte Sillernbahn war 2008 saniert worden, die aktuelle Konzession läuft erst 2033 aus, überlaufen ist die Bahn nur an rund 10 Tagen pro Jahr. Die Verantwortlichen bringen denn auch keine zwingenden Argumente für Neu-, Um- und Rückbau vor, sondern führen vermeintliche Gästebedürfnisse nach mehr Komfort, grösserem Tempo und höheren Kapazitäten an.
Der alte Kämpe, den die neuen Pläne wieder jung gemacht haben, holt diese luftigen Argumentationen auf den Boden: Seit Urs Kessler mit den Jungfraubahnen für rund 500 Millionen Franken Männlichen und Eigergletscher neu erschlossen hat, fürchten die Adelbodner Schwandherren und Bergbähnler einen Gästeschwund.

Kuonisbergli letzthin Ende Dezember.

Der Reflex ist verständlich, aber so unsinnig wie weiland das Alpenbad, wie Buskonvois durch einen Dorfkern oder wie eine Tylorienne vom Sillernbühl auf den Höchst: Für die Agglomerationen um Bern, Solothurn und Basel war, ist und bleibt Adelboden die nächstgelegene alpine Destination mit umfassendem Tourismusangebot.
Zwar war dieses Argument schon in den 1980ern nicht ins Feld geführt worden, als es um die Realisierung der Sillernbahn ging. Aber die Nähe der Destination und die Qualitäten nicht nur der Pisten, sondern auch der Wanderwege und Loipen, der Restaurants und Berghütten, der Thermik und Kletterrouten und nicht zuletzt Gygers und Klopensteins Bilder und Oesters Brot, Stoff und Sport.

Adelboden liegt nahe

Seit den Adelbodnern in den 1870er der Tourismus aufgedrängt wurde von Auswärtigen, hatten sie freilich nie ein gutes Auge für die eigentlichen touristischen Qualitäten: Zu sehr prägen bitterarme Bäuerten und blendende Bosse à la Alder, krumme Geschäfte und scheinheilige Gebete à la Vati das Tal, das landschaftlich eine Sackgasse ist – den Tunnel wollte mann übrigens sintemalen auch nicht, den bekam am Lötschberg Kandersteg, im Gegensatz zu Adelboden Durchgangsort seit Menschengedenken.

Sillern Ende Dezember eines anderen Jahres als oben.

Wären die Schwandherren bereit, jenseits von grossspurigem Gehabe und kleingeistiger Krämerei hinzusehen, bräuchten sie den Vergleich mit der Jungfrauregion nicht zu scheuen – schon gar nicht in postglobalisierten Zeiten, wo gästegetriebene Portale das Gute nach jedem Gusto weitersagen und das Schlechte vom Markt raten, wo Skifahrer aussterben und Wandervögel ausfliegen, wo sauberes Wasser, frische Luft, grüne Matten und weisse Schneeberge zählen und wo nicht zuletzt das Gute so nahe liegt: Adelboden liegt nahe – den Claim schenke ich euch.

PS
Grindelwald klingt übrigens für fremde Ohren schrecklich und ist aktuell der Name eines Bösewichtes in einem grossen Hollywood-Film. Wie klingt Adelboden?

*
Chuenisbergli heisst es erst, seit mann sich mit Kuoni nicht einigen konnte, was sich mit Kuonis Zusammenbruch eigentlich erledigt hat.

Ersten Kommentar schreiben

Kommentar verfassen